Etappensieg
für die Bibelfrommen
Von Jochen
Leffers
Im Kulturkampf Evolution contra
Schöpfung können die US-Kreationisten
feiern: Schüler in Kansas lernen künftig auch, wie
religiöse Eiferer die
Entwicklung des Lebens sehen. Wissenschaftler sind entsetzt. Im
Provinznest
Dover indes kam es zu einer überraschenden Wende.
Schüler
im US-Bundesstaat Kansas werden sich künftig
neben der Evolutionstheorie über die Entstehung des Lebens auch
mit der
bibelnahen kreationistischen Weltsicht auseinandersetzen müssen.
Die oberste
Schulbehörde von Kansas stimmte mit sechs zu vier Stimmen für
die Aufnahme des
Kreationismus in die Lehrpläne. Die Schüler sollten sich zwar
vornehmlich mit
der modernen Evolutionstheorie vertraut machen, aber auch die
"wissenschaftliche Kritik daran kennen lernen", lautet die
Begründung
der Behörde.

|
AP
Naturforscher Darwin: Umstrittene
Lehre
|
Der von
Charles Darwin
begründeten Evolutionstheorie zufolge hat sich das Leben auf der
Erde seit
Jahrmillionen entsprechend der jeweiligen Umweltbedingungen entwickelt.
Die
Kreationisten dagegen gehen davon aus, dass alles Leben göttlichen
Ursprungs
ist, und fordern eine Verankerung der biblischen
Schöpfungsgeschichte in den
Schulen - im Biologie- und nicht etwa im Religionsunterricht, denn den
gibt es
an staatlichen US-Schulen nicht.
Die Befürworter des Kreationismus sehen Gott als Schöpfer der
Natur und des
Menschen. Sie bilden eine USA-weite Achse der Frommen; die
besonders Bibelfesten unter ihnen glauben Wort für Wort an die
Schöpfung, so
wie das Alte Testament sie schildert. Die Vertreter der akademischen
Variante
"Intelligent Design" (ID) sprechen nicht von Gott, sondern von einer
übernatürlichen Intelligenz hinter allen Dingen. Mit gutem
Grund: 1987 urteilte
das Oberste Gericht der USA, dass Kreationismus an den Schulen nichts
zu suchen
habe und die Trennung von Staat und Kirche strikt zu beachten sei.
Fundamentalismus im Tarnkleid
Seitdem meiden die Kreationisten eine fundamentalchristliche Sprache.
Sie
suchten und fanden eine neue Taktik: Sie preisen das "Intelligent
Design" als alternative und angeblich gleichrangige
Wissenschaftstheorie.
Diese Denkrichtung müsse auch gleichrangig an den Schulen gelehrt
werden. Das
allerdings lässt vielen Wissenschaftlern die Haare zu Berge
stehen - für
eine Theorie brauche es die Grundlage von
Forschung, Nachweisen und wissenschaftlichen Veröffentlichungen.
"Intelligent Design" habe nichts davon zu bieten, Glaube ersetze kein
wissenschaftliches Konzept.
Die Abstimmung in Kansas war nach 1999 und 2001 bereits die dritte
ihrer Art,
mit wechselnden Ausgängen. Über die neue Entscheidung zeigten
sich viele
Lehrer, Wissenschaftler und Politiker entsetzt. So prophezeite Eugenie
Scott
vom Zentrum für naturwissenschaftliche Bildung, dass sich "dieser
Kampf
jetzt überall abspielen wird". Die Tür sei geöffnet, so
Jack Krebs, ein
Mathematiklehrer aus Oskaloosa: "Überall können Lehrer die
Argumente der
Kreationisten in die Klassenzimmer tragen und auf die neuen Standards
hinweisen."
Janet Waugh,
demokratisches
Mitglied im "School Board" von Kansas, wurde noch deutlicher:
"Das ist ein trauriger Tag. Wir machen uns zum Gespött, nicht nur
in den
USA, sondern in der ganzen Welt. Das hasse ich."
Für die Angst vor Spott gibt es in der Tat starke Indizien.
Forscher bangen
bereits um den Ruf der US-Wissenschaft in der Welt, Museumsdirektoren
klagen über
aggressives Verhalten fundamentalchristlicher Darwin-Feinde. Derweil
flüchtete
sich der 25-jährige Physiker Bobby Henderson in Humor und
begründete eine
eigene Religion, die an die Stelle Gottes ein fliegendes
Spaghetti-Monster
setzt. Daraus entstand eine bemerkenswerte satirische Kampagne. Die
Forderung der "Pastafarians": Wenn mit "Intelligent Design"
schon eine religiöse Anschauung von dürftiger
Überzeugungskraft an Schulen
gelehrt werde - dann aber bitte auch die Theorie vom Nudelmonster als
Schöpfer
allen Lebens.
Angebliche Zweifel an der Evolutionslehre
Die Schulbehörde des Bundesstaats schreibt den Schulen die
Lehrpläne nicht
exakt vor, darüber entscheiden lokale Instanzen. Aber die
Behörde von Kansas
legt die Prüfungsinhalte fest. Den Standards zufolge, die ab 2008
greifen
sollen, müssen die Schüler die Evolutionstheorie kennen
lernen. Sie sollen aber
auch erfahren, dass es angeblich erhebliche wissenschaftliche Zweifel
an
Darwins Theorie der Entwicklung der Arten gibt.
In einem anderen US-Bundesstaat kassierten die Kreationisten allerdings
soeben
eine empfindliche Schlappe. Elf Eltern hatten die Schulbehörde im
ländlichen
Dover (Pennsylvania) im vergangenen Jahr verklagt, weil die Kinder in
diesem
Bezirk lernen müssen, dass die Evolutionstheorie "kein Fakt" sei
und
"unerklärliche Lücken" aufweise. Sie werden angehalten, sich
mit dem
Konzept des "Intelligent Design" zu beschäftigen. Der Prozess wird
überall in den USA mit Spannung beobachtet; in über 30
Bundesstaaten stehen die
Verfechter der Design-Lehre in den Startlöchern. Die
Beweisaufnahme ist bereits
abgeschlossen. Richter John Jones will bis Ende des Jahres entscheiden,
ob die
Aufnahme des "Intelligent Design" in den Unterricht gegen die
Trennung von Staat und Kirche verstößt.
So lange wollten die Gegner der Kreationisten indes nicht warten. Das
Schulwesen der USA ist basisdemokratisch organisiert, die School Boards
werden
von den Bürgern direkt gewählt. Und prompt schufen die Wahlen
zum Schulrat, wo
bisher Darwin-Gegner die Oberhand hatten, neue Mehrheiten: Die
Wähler ließen
acht von neun Mitglieder des Gremiums durchfallen und benannten
Ersatzmitglieder, darunter Lehrer. Nun gibt es eine klare Mehrheit
gegen das
Konzept des "Intelligent Design". Der Erfolg überraschte selbst
die
Eltern, die zur Neuwahl aufgerufen hatten.
Im Bezirk Dover wird damit das Gerichtsverfahren um den Umgang mit dem
Kreationismus zur Nebensache. Die Sache der Bibelfrommen vertritt dort
das
Thomas More Law Center, das unter dem Motto "Schwert und Schild
für fromme
Menschen" operiert. Die Rechtsanwälte verteidigten zum Beispiel
Aktivisten, die Adressen von Abtreibungsärzten im Internet
veröffentlichten.
Das Zentrum suchte laut "New York Times" jahrelang USA-weit einen
Schulbezirk für einen Schauprozess mit Modellcharakter - und fand
ihn
schließlich in Dover.
Doch auch im
ländlichen Amerika sind die Bürger nicht
richtig berechenbar, auf ihre Glaubensfestigkeit war diesmal kein
Verlass.
"Die Menschen in Dover haben entschieden", das müsse man
akzeptieren,
sagte Richard Thompson, Präsident des Thomas More Law Center.
Seine
Gegenspieler reagierten besonnen auf die überraschende Kehrtwende
in Dover. Bei
der Lehrplan-Änderung werde man jetzt nichts
überstürzen, sagte ein Sprecher
der neu ernannten Schulratsmitglieder. Und Witold Walczak, Anwalt der
Klägerfamilien in Dover, bezeichnete es als angemessen,
"Intelligent
Design" an Schulen zu berücksichtigen: allerdings nicht im natur-,
sondern
im sozialwissenschaftlichen Unterricht, etwa über "Weltkulturen"
oder
"Vergleich der Religionen".
|
der |
Etappensieg |
étape
victorieuse |
der |
Bibelfromme
(-n) |
le
dévot |
|
künftig |
à
l'avenir |
der |
religiöse
Eiferer |
le
partisan, zélateur |
|
entsetzt |
désemparé |
die |
Wende |
un
tournant |
die |
Weltsicht |
la
vision du monde |
|
auseinandersetzen |
exposer,
expliquer |
die |
Entstehung
des Lebens |
la
création de la vie |
|
stimmen |
approuver |
die |
Aufnahme |
l'intégration |
der |
Lehrplan |
le
programme |
|
sich
vertraut machen |
se
familiariser |
|
vornehmlich |
avant
tout |
die |
Begründung |
le
motif, la justification |
|
davon
ausgehen |
partir
du principe |
|
göttlich |
divin |
|
fordern |
exiger,
réclamer |
die |
Schöpfung |
la
création |
der |
Befürworter |
le
porte-parole |
die |
Achse |
l'axe |
|
schildern |
décrire |
|
beachten |
prendre
en considération |
das |
Tarnkleid |
l'habit
invisible, l'écran |
|
meiden |
éviter |
der |
Nachweis |
la
preuve |
die |
Veröffentlichung |
la
publication |
|
gleichrangig |
de
même rang |
die |
Denkrichtung |
manière
de penser |
der |
Glaube |
la
croyance |
|
ersetzen |
remplacer |
die |
Abstimmung |
le
vote |
der |
Ausgang |
issue |
|
abspielen |
se
dérouler |
|
hinweisen |
attirer
l'attention |
|
|
|
das |
Mitglied |
membre |
|
deutlich |
clair,
explicite |
|
sich
zum Gespött machen |
être
la risée de |
|
bangen
um |
avoir
peur pour |
|
sich
in flüchten |
se
réfugier dans |
|
begründen |
fonder |
die |
Forderung |
la
demande |
die |
Anschauung |
le
point de vue |
|
dürftig |
médiocre |
die |
Überzeugungskraft |
force
de persuasion |
der |
Schöpfer |
le
créateur |
|
vorschreiben |
prescrire |
|
entscheiden |
décider |
|
festlegen |
établir |
die |
Schlappe |
un
échec, défaite |
|
verklagen |
attaquer |
|
Lücken
aufweisen |
montrer
des failles |
|
anhalten |
demander |
|
sich
beschäftigen |
s'employer
à |
der |
Verfechter |
l'
opposant |
die |
Beweisaufnahme |
l'enregistrement
des preuves |
|
abschliessen |
terminer,
clore |
|
verstossen |
contrevenir,
enfreindre |
das |
Schulwesen |
l'éducation |
|
schaffen |
créer |
der |
Schulrat |
le
conseil d'école |
die |
Mehrheit |
la
majorité |
der |
Wähler |
l'
électeur |
|
durchfallen |
tomber |
|
zur
Neuwahl aufrufen |
appeler
à des élections |
die |
Nebensache |
affaire
secondaire |
das |
Gerichtsverfahren |
le
prcessus juridique |
der |
Umgang |
les
relations |
die |
Sache |
les
affaires |
|
vertreten |
représenter |
|
Schwert
und Schild |
le
glaive et le bouclier |
der |
Rechtsanwalt |
le
procureur |
|
verteidigen |
défendre |
der |
Schauprozess |
un
procès spectacle |
|
berechenbar |
fiable |
die |
Glaubenfestigkeit |
la
solidité de la foi |
der |
Gegenspieler |
l'adversaire |
|
besonnen |
prudent,
pondéré |
die |
Kehrtwende |
la
vire-volte |
|
überstürzen |
se
précipiter |
die |
Klägerfamilie |
la
famille plaignante |
|
angemessen |
adapté |
|
berücksichtigen |
prendre
en considération |
|
|
|
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