Erste
Gesichtsverpflanzung steht bevor
Von Peter Kaiser
In den USA wird demnächst das erste
Gesicht transplantiert, wenn alles so
verläuft, wie die Chirurgen einer Spezialklinik sich das
vorstellen. Das
Verfahren verspricht entstellten Menschen Erleichterung - wirft aber
auch
ethische und medizinische Fragen auf.
Bodo
Hoffmeisters Handbewegung ist
ruhig und schnell. Unmittelbar vor
dem rechten Ohr, sagt der große und hagere Gesichtschirurg vom
Berliner
Benjamin-Franklin-Klinikum, würde der Schnitt beginnen. Dann unter
dem Kinn
hindurch, hoch zum linken Ohr und dem Haaransatz. Wenig später
wäre das
Skalpell am Ausgangspunkt, dem rechten Ohr, wieder angekommen. Das in
etwa wäre
der Schnitt, um ein gesamtes Gesicht, plus Nase, Mund, Lippen,
Augenbrauen und
Augenlidern, vom Kopf eines Toten zu lösen und danach auf einen
Empfängerkopf
zu transplantieren.
Was sich wie
die Idee eines verrückten Wissenschaftlers
aus einem Hollywood-Thriller à la "Face/Off - Im Körper des
Feindes"
anhört, wird bald Realität sein. Die Verpflanzung eines
gesamten Gesichts steht
der Welt unmittelbar bevor.
Maria Siemionow von der Cleveland Clinic in Ohio ist die erste
Medizinerin, die
von der zuständigen Ethikkommission die Erlaubnis für einen
solchen Eingriff
bekommen hat. Damit
hat sie mindestens zwei andere Teams aus dem Rennen geworfen: das um
John
Barker von der University of Louisville in Kentucky und das um Peter
Butler vom
Royal Free Hospital in London. Beide Gruppen haben bei ihren
Aufsichtsbehörden
ebenfalls die Erlaubnis beantragt, ein Gesicht zu transplantieren.
Für deutsche Mediziner ist eine Gesichtstransplantation derzeit
kein Thema. So
hält Tim Bredehorn von der Deutschen Stiftung für Organspende
(DSO), im
gegenwärtigen Stadium nichts davon. "Eine
Gesichtstransplantation,"
erklärt der Mediziner, "bedeutet einen massiven Eingriff nicht nur
in den
Körper des Empfängers, sondern auch des Verstorbenen. Die
ethischen,
psychologischen und medizinischen Probleme, die auftreten können,
können wir im
Moment nicht übersehen." Und dann sorgt sich Tim Bredehorn um die
Organspende generell bei dieser Sache. Denn die Gefahr ist für
ihn, dass eine
ethische Diskussion losgetreten werden könnte über das
Wiedererkennen des
Spenders - denn das muss nach dem deutschen Transplantationsgesetz
ausgeschlossen werden.
Siemionow, die in Polen und Finnland studiert hat, wehrt sich energisch
gegen
den Vorwurf, demnächst eine "Frankenstein-Operation" vornehmen zu
wollen. "Es geht nicht darum, das Gesicht von jemandem zu nehmen und es
einem anderen aufzusetzen", betont die Gesichtschirurgin. "Wir reden
über eine Hauttransplantation, um schwer verbrannten Patienten zu
helfen."
In Frage kämen nur Menschen, die "30, 40 oder noch mehr
Gesichts-Korrektureingriffe" hinter sich hätten. "Wir wollen den
Patienten helfen, endlich der Welt wieder das Gesicht zu zeigen."
Alltag ist für Entstellte ein
Spießrutenlauf
Viele Menschen werden von ihrer Umwelt kaum noch wahrgenommen, weil sie
ihre
Wohnung nicht mehr verlassen. Brandopfer sind das zumeist, aber auch
Männer und
Frauen, denen etwa ein Hundebiss oder eine Schussverletzung das Gesicht
entstellt hat oder die infolge von Tumoroperationen mit einem aus
Hautteilen
von anderen Körperregionen zusammengeflickten und völlig
durchnarbten Gesicht
leben müssen.
Die täglichen Supermarktgänge, Behördenwege oder
Spaziergänge mit einem solchen
Patchworkgesicht sind ein Martyrium. Kinder laufen auf der Straße
weinend
davon, Erwachsene sehen erschrocken weg. Es verwundert kaum, dass viele
dieser
Patienten stark suizidgefährdet sind. Doch bis sie ein neues
Gesicht bekommen
können, vergeht noch etwas Zeit. Außerdem ist jenseits der
drängenden ethischen
Probleme auch eine Fülle von medizintechnischen Fragen zu
klären.
Wie viel vom Spendergesicht an Nerven, Muskeln und Gefäßen
muss mit abgelöst
werden, damit der Empfänger zu einer normalen Mimik fähig
ist? Eine 24- bis
36-stündige, extrem arbeitsintensive Operation wäre nach
Ansicht von
Gesichtschirurg Hoffmeister kaum sinnvoll, wenn der Patient danach nur
mit
einer Art "gut durchbluteten Maske" herumlaufe.
Empfänger würden Spender kaum
ähneln
Und was ist, wenn der Körper das neue Gesicht wieder
abstößt? Wenn die
Medikamente, die eine Immunreaktion unterdrücken, nicht wirken?
Oder aber ihre
lebenslange Einnahme nicht vertretbare Nebenwirkungen zur Folge hat?
Technisch gesehen, da sind sich die meisten Gesichtschirurgen einig,
ist die
Verpflanzung eines gesamten Gesichtes zwar langwierig und aufwendig, im
Prinzip
aber machbar. Denn sind erst einmal die Oberhaut mit der Unterhaut
sowie
Muskeln und Gewebe vom Spender abgetrennt, kann sofort mit der
mühevollen
Feinarbeit begonnen werden, alles neu zu verknüpfen und
anzuschließen.
Dabei ist die Blutversorgung des neuen Gesichtes ein geringes Problem.
Und für
die Mimik sind von den 26 Gesichtsmuskeln nur 11 unbedingt notwendig.
Die
Gefahr, dass das Gesicht auf dem neuen Kopf wie das des toten Spenders
aussieht, ist wegen des anderen Knochenbaus beim Gesichtsempfänger
kaum
gegeben. Zudem soll jedenfalls bisher nur die Haut mit möglichst
wenig alten
Spendermuskeln transplantiert werden. Das verringert die
Befürchtungen, dass
später die Angehörigen des Spenders ihrem toten Verwandten
ins Gesicht sehen.
Wie sieht eine Leiche ohne Gesicht aus?
Größer wirken dagegen die ethischen Probleme. Für die
Kulturwissenschaftlerin
Professor Anna Bergmann, 52, ist die Vorstellung einer
Gesichtstransplantation
der "reinste Horror" und hat eine "furchtbare Dimension".
Die Buchautorin ("Der entseelte Patient") und erklärte
Transplantationsgegnerin meint, dass da "Fantasien von
Horror-Laboratorien
in Gang gesetzt werden, und es nun ganz selbstverständlich ist,
dass das alles
heruntergespielt wird". Man müsse sich einmal vorstellen, "wie
eine
Leiche aussieht, die über kein Gesicht mehr verfügt".
Viele Transplantierte feiern zweimal Geburtstag; den eigenen und den
Todestag
des Spenders. Wie wird das bei einem neuen Gesicht sein? Und wird es
wirklich
vorkommen, dass etwa ein Deutscher mit dem Gesicht eines Inders
weiterlebt, der
Vater mit dem des toten Sohnes? Welch groteske Konstellationen sind da
möglich?
In der Cleveland Clinic in den USA laufen derweil die ersten
Test-Screenings
zur Patientenauswahl. Fünf Männer und sieben Frauen, die als
Kandidaten in
Frage kommen, sollen demnächst befragt werden. Siemionow meint,
man müsse sich
fragen, wer mit der Gesichtstransplantation ein Problem hat. "Ist es
der
Patient, der das Transplantat bekommt, oder ist es die Gesellschaft,
die sagt:
Tu es nicht?"
|
|
bevorstehen |
être imminent |
|
hager |
maigre, sec |
|
umstritten |
controversé |
der |
Eingriff |
l'intervention |
die |
Verpflanzung |
la
transplantation |
|
demnächst |
prochainement |
|
verlaufen |
se
dérouler |
|
sich
vorstellen |
s'imaginer |
das |
Verfahren |
le
procédé |
|
versprechen |
promettre |
|
entstellt |
défiguré |
die |
Erleichterung |
le
soulagement |
|
aufwerfen |
soulever |
|
unmittelbar |
directement |
der |
Haaransatz |
l'implantation
des cheveux |
|
lösen |
détacher |
|
bevorstehen |
être
imminent |
|
zuständig |
compétent |
das |
Rennen |
la
course |
die |
Aufsichtsbehörde |
la
commission de contrôle |
die |
Stiftung |
la
fondation |
die |
Organspende |
le
don d' organes |
der |
Verstorbene |
le
mort, la personne décédée |
|
auftreten |
survenir |
|
übersehen |
laisser
de côté |
das |
Wiedererkennen |
la
reconnaissance |
der |
Spender |
le
donneur |
|
ausgeschlossen |
exclu |
|
sich
gegen etw wehren |
se
défendre contre |
der |
Vorwurf |
le
reproche |
|
vornehmen |
entreprendre |
|
aufsetzen |
poser,
implanter |
der |
Spiessrutenlauf |
un chemin de croix |
|
wahrnehmen |
remarquer,
prendre en compte |
das |
Brandopfer |
les
victimes du feu |
|
zusammenflicken |
rapiécer |
|
durchnarben |
traverser
de cicatrices |
der |
Hundebiss |
la
morsure d'un chien |
die |
Schussverletzung |
une
blessure par balle |
das |
Gefäß
(-e) |
les
vaisseaux |
|
herumlaufen |
vagabonder,
flâner
(se retrouver) |
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abstossen |
rejeter |
|
unterdrücken |
réfréner,
empêcher |
|
vertretbar |
défendable |
die |
Nebenwirkung |
effets
secondaires |
die |
Einnahme |
l'implantation |
|
langwierig |
de
longue haleine |
|
aufwendig |
coûteux |
das |
Gewebe |
tissus |
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verknüpfen |
relier |
|
anchliessen |
connecter |
der |
Spendermuskel
(-n) |
le
musclesdu donneur |
|
befragt |
questionné |
Worüber streiten denn
die Mediziner ?
Was macht das Leben der Leute mit einem entstellten Gesicht so
schwierig ?
Wie ist es möglich dass das neue Gesicht anders wie das
Gesicht des Toten aussieht ?
Wovor haben die Leute bei dieser Art Transplantation Angst vor ? Was
finden sie grotesk ?
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